Der Verband der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaft in Polen und seine „zigtausend Unterorganisationen“ – Ein informationsreicher Besuch in Opole

Opole (dt. „Oppeln“) liegt etwa eine Stunde mit dem Zug von Wroclaw entfernt. Direkt nach dem Frühstück machen wir uns auf den Weg, um die vielen Vereinigungen und Organisationen der Deutschen Minderheit zu besuchen, welche dort ihren Hauptsitz haben. Am Fenster des Zuges ziehen die Wiesen und Felder vorbei und wir passieren die Grenze zur Oppelner Woiwodschaft. Dort leben auch die meisten Angehörigen der Deutschen Minderheit.

Unser erster Termin in Opole – Projektorientierte Arbeit, oh ja

Das Haus der deutsch-polnischen Zusammenarbeit, welches unser erstes Ziel ist, liegt direkt gegenüber vom Bahnhof. Wir finden uns – wie wir es von den vergangenen arbeitsreichen Tagen schon gewohnt sind – in einem Raum mit einer U-förmigen Ansammlung von Tischen ein, wo wir uns niederlassen. Die leitende Projektmanagerin des Trägervereins, Juliana Klick, berichtet uns von den Tätigkeiten und Zielen der Organisation und stellt ausgewählte Projekte vor, wie zum Beispiel der Kampagne „Bilingual – Einfach mit Deutsch“ zur Förderung der Zweisprachigkeit in Polen. Das größte Projekt ist jedoch das „Schlesienseminar“, wo die Teilnehmer dieses Jahr drei Tage lang zum Thema „Fremde und Fremdheit“ diskutieren werden. Das Seminar wird jedes Jahr zu einem anderen Themenkomplex veranstaltet, 2016 war es „Migration“. Ein weiteres interessantes Projekt ist auf der Internetseite „e-historie.pl“ dokumentiert: Jugendliche haben Zeitzeugen rund um die Geschehnisse nach dem Zweiten Weltkrieg interviewt und dort veröffentlicht, damit diese Perspektive der deutsch-polnischen Geschichte nicht verloren geht. Übergeordnetes Ziel aller Aktivitäten sei nicht nur die Förderung des Deutschen in Polen, sondern vor allem auch die Verbesserung der deutsch-polnischen Zusammenarbeit und die Förderung des Austausches, so Frau Klick.

Gruppenbild am Rathaus von Opole
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„Deutsches Haus“ mit Schild aller Organisationen IMG_0275.JPG

Exkurs zur Oberschlesischen Geschichte und die politischen Aktivitäten der Deutschen Minderheit in Polen bei der SKGD

Im sogenannten „Deutschen Haus“, wo wir nun hinlaufen und dabei noch ein bisschen von der schönen Altstadt Opoles sehen, sind noch mehr Organisationen angesiedelt, die sich mit der Deutschen Minderheit in Polen bzw. der deutschen Sprache beschäftigen.

Eine davon ist die Sozial-Kulturelle Gesellschaft der Deutschen im Oppelner Schlesien (SKGD). Deren Vorsitzender, Rafal Bartek, gibt uns sehr interessante Einblicke in die Arbeit und Herausforderungen, mit denen die SKGD heute zu kämpfen hat. Als Einsteig berichtete er jedoch erst, ähnlich wie Frau Zajaczkowska, von der Geschichte der Deutschen Minderheit in Polen: Nach 1945 bestand auf polnischer Seite der Konsens, dass es sich bei der Bevölkerung Oberschlesiens nicht um Deutsche, sondern lediglich um „germanisierte Polen“ handle, die „rekolonisiert“ werden könnten, so Bartek. Im Zuge der Neuorganisation der Bevölkerung des polnischen Territoriums mussten die Menschen des Gebietes deshalb einen „Polen-Nachweis“ erbringen. Der Rest wurde weggeschickt. Dieser Nachwies bestand jedoch lediglich darin, ein Gebet oder Gedicht auf Polnisch aufsagen zu können, was die meisten Schlesier konnten und bereitwillig taten, da sie ihre Heimat nicht verlassen wollten, um ihre Lebensgrundlage nicht zu verlieren. Anschließend wurde das Deutsche als Sprache verboten, was soweit ging, dass an den Häusern gelauscht wurde, ob man dort Deutsch verwendete. Ab den 1950ern war von „den Deutschen in Polen“ keine Rede mehr – man verleugnete ihre Existenz. Erst ab den 70ern und der großen Auswanderungswelle im Zuge der Familienzusammenführung gab es wieder eine Auseinandersetzung mit dem Thema. Seit 1990 ist die Deutsche Minderheit auch wieder politisch aktiv. So bildet sie zum Beispiel vor den Kommunal- und Parlamentswahlen ein Wahlkommittee und stellt eigene Kandidaten auf. Aktuell entstammt ein Abgeordneter im Sejm der Deutschen Minderheit – er gehört keiner weiteren Partei an. Die neue polnische Regierung will die Aufstellung von parteilosen Kandidaten jedoch in Zukunft verhindern (ein Gesetz ist auf dem Weg), weshalb sich die SKGD gerade gewzungener Maßen auf eine evenutelle Parteigründung vorbereitet. Dabei stehen sie jedoch vor einer Vielzahl von Herausforderungen, wie Rafal Bartek erläutert.

Zum Ersten gäbe es ein „mentales Problem“ bei der Organisation der Deutschen Minderheit als Partei. Die Anhänger seien es schlichtweg nicht gewohnt, sich parteipolitisch zu organisieren, sondern kennen nur die Arbeit in kulturellen Vereinen. Es wäre kein Problem, unter den 30.000 Mitgliedern 1.000 Unterschriften für eine Parteigründung zu sammeln, wie es das Parteiengesetz will. Doch alles darüber hinaus wäre komplettes Neuland. Auch ist davon auszugehen, dass anschließend die 5%-Hürde für die Partei gelten würde, was bei der aktuellen Organisationsform nicht der Fall ist, weshalb sie auch einen Abgeordneten im Sejm stellen können.

Weiterhin müsste die Partei einen regionalen Charakter aufweisen. Nur die Interessen der Deutschen Minderheit zu vertreten, würde für den Antritt bei Wahlen nicht ausreichen, wenn man Erfolg haben will. Bei der Profilschärfung wäre die größte Hürde, alte Anhänger nicht zu verschrecken und gleichzeitig neue hinzuzugewinnen. Gerade befinden sich die Verantwortlichen in der Diskussion über einen Namen für die Partei – dies sei bereits mit Schwierigkeiten behaftet.

Drittens wäre es wichtig, eine ähnlich starkes regionales parteipolitisches Engagement hervorrufen zu können, wie es in der deutschen Parteienlandschaft der Fall ist. Gerade wenn es sich um eine Partei handelt, die mit regionalen Themen antritt. Diese Form der politischen Organisation ist in Polen jedoch nicht weit verbreitet. Politisches Engagement wird mit Gleichgültigkeit bis hin zu Ablehnung betrachtet – ein typisches Problem postsozialistischer Staaten.

Auch sei es schwierig, mediale Aufmerksamkeit für das regionale politische Engagement zu wecken, da sich die politische Berichterstattung hauptsächlich um die Ereignisse in Warschau drehen würde und zudem eine starke Tendenz zur Polarisierung vorläge. Da haben regionale Akteure wenig Chancen, Aufmerksamkeit zu erringen, es sei denn, sie werden zum Zankapfel Warschaus. Doch die Deutsche Minderheit versucht dagegen anzugehen, indem sie eigene Medien Betreibt – mehrere Rediosendungen, ein kurzes TV-Programm, die Zeitung „Wochenblatt.pl“ und weiteres. Davon konnten wir uns auch noch einmal selbst überzeugen, als wir die Redaktionsräume im ersten Stock besuchten.

Die Debatte rund um die Vergrößerung von Opole – Letzter Ausweg Hungerstreik?

Ein in den Medien vernachlässigtes Thema ist laut Bartek zum Beispiel der Streit um die Eingemeindung von 12 Dörfern rund um Opole, wogegen sich diese jedoch zur Wehr setzen. Die Deutsche Minderheit ist in ihnen stark vertreten und sie haben Angst, dass die Repräsentation ihrer Interessen ‚verwässert‘ wird, wenn sie sich einer größeren Verwaltungseinheit anschließen. Jetzt kennen sie ihren Bürgermeister persönlich, können alle Angelegenheiten schnell und unkompliziert an die Verwaltungsebene herantragen. Es gibt Deutsch als amtliche Hilfssprache und alle Ortsschilder sind zweisprachig. In einer Umfrage sprachen sich die Menschen der betreffenden Dörfer zu 94-100% gegen die Eingemeindung aus. Das Unterfangen wird jedoch trotzdem weiter vorangetrieben. Die Betroffenen klagten bereits dagegen und eine Petition wird in Kürze im Europäischen Parlament behandelt. Der Austausch mit der polnischen Regierung gestaltet sich schwierig. Bisher kam kein Treffen zu stande. Die ganze Konversation erfolgte schriftlich und die Regierung zeigt sich trotz rechtlicher Gutachten, dass sie gegen Europäisches Recht zum Schutz von Minderheiten verstößt, wenn sie an ihren Plänen festhält, uneinsichtig. Deshalb führten einige Betroffene vor Ostern bereits ihren zweiten Hungerstreik durch – ohne Erfolg. Und nein, dabei handelte es sich nicht um das Karfreitags-Fasten.

Was macht eine solche Auseinandersetzung zwischen der Deutschen Minderheit und der politischen Führung mit dem Verhältnis zwischen Polen und Deutschen in Oberschlesien allgemein? Dass die politische Elite die Deutsche Minderheit gerne instrumentalsiert, um Stimmung für ihre politischen Themen zu machen, ist für Rafal Batek offensichtlich. Das Verhältnis innerhalb der Bürgerschaft sei stets gut und verstädnisvoll gewesen. Allerdings hätte die Selbstbehauptung der Gemeinden am Rande von Opole die Situation etwas verändert. Durch eine zunehmend undifferenzierte Berichterstattung und polarisierende diskursive Darstellung des Themas könnte es zu einem schlechteren Image der Deutschen Minderheit kommen. Die Qualität der politischen Berichterstattung sei in Polen allgemein ein Problem, findet Bartek.

Gruppenbild mit Rafal Bartek
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Ein Vorzeigeprojekt – Die Deutsche „Miro“-Fußballschule

Doch nun zu etwas durch und durch Positivem. Ein gut gelungenes Projekt ist die „Miro“-Fußballschule, benannt nach Miroslav Klose. Zumindest muss es das sein, denn von jeder einzelnen Person, mit der wir sprachen, hörten wir etwas von diesem Projekt. Es geht dabei darum, Fußballspielen und Deutschlernen miteinander zu verbinden, indem alle Sportstunden auf Deutsch stattfinden. 400 Kinder nehmen an dem Projekt teil. Auch viele polnische Kinder möchten sehr gerne Deutsch lernen und Fußball spielen – und auch sie sind herzlich willkommen. Durch dieses Projekt bekommen alle teilnehmenden Kinder eine positive Konnotation zum Deutschen, weil sie die deutsche Sprache mit Spaß verbinden.

Die Deutsche Bildungsgesellschaft (DBG) – Fortbildung für Lehrer

Die Lehrer, die Deutsch lehren, können auf eine große methodische Unterstützung durch die Deutsche Bildungsgesellschaft (DBG) zählen. Davon haben wir durch Martyna Halek, einer Referentin der DBG, erfahren. Die DBG bietet Schulungen, Workshops und Seminare an. Dabei arbeitet sie mit Materialien, welche die Mitarbeiter selbst erarbeitet haben und durch die DGB herausgegeben wurden. Das Ganze wurde mit Geldern der Europäischen Union finanziert. So auch das erste Buch für Deutsch als Minderheitensprache – es heißt „Niko 1“. An die Materialien kann man kostenlos gelangen, wenn man Projektpartner der DBG wird. Außerdem kann man bei der DBG ein Examen vom Goethe-Institut in Deutsch B2 ablegen, da die DBG eng mit dem Goethe-Institut kooperiert.

Das Institut für Auslandsbeziehungen (IfA) ünterstützt die Aktivitäten

Das IfA ist die älteste Mittlerorganisation der Bundesrepublik Deutschland. 2017 feiert sie ihr hundertjähriges Jubiläum! Doch zum Glück gehe auch das IfA mit der Zeit und sei heute natürlich viel moderner und weniger konservativ als zu seiner Anfangszeit, so die Landeskoordinatorin für Polen und Tschechien, mit der wir sprachen. Auch die Internationalen Beziehungen gehen mit der Zeit. Nein, sie bestimmen viel mehr die Zeit. Aktuell sind viele Stellen ausgeschrieben und das Gespräch mutierte beinahe zu einer Job-Messe. In Osteuropa unterstützt das IfA unter anderem die länderübergreifende Zusammenarbeit der Deutschen Minderheiten sowie Bildungprojekte im Rahmen der Östlichen Partnerschaft in Ländern, die noch nicht Mitglied der EU sind. Das Stichwort lautet ähnlich wie beim Goethe-Institut: „Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik“.

Gespräch mit Maria Neumann und Monika Wittek
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Der Dachverband „Verband der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen“

Die Organisationslandschaft der Deutschen Minderheit ist für uns ziemlich unübersichtlich. Es gingt unglaublich viele Unterorganisationen und Projekte. Doch sie alle sind in ihrem Dachverband organisiert, dessen zwei Vertreterinnen (Maria Neumann/Geschäftsführerin und Monika Wittek/Spezialistin für Kultur) unsere letzte Station des Tages prägen. Wir erfahren auch hier noch einmal etwas über die Finanzierung der Aktivitäten der Deutschen Minderheit. Sie werden vor allem durch das polnische Innenministerium, die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit und das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland (über die jeweiligen Konsulate) gefördert. Oberstes Gebot ist dabei immer die Völkerverständigung, wie uns erklärt wird.

Einmal quer durch alle Organisationen der Deutschen Minderheit in Polen – Das war unser vierter Tag der Jugendbegegnung!

Wir erkennen unsere Gesprächspartner auf den Fotos
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„Endlich mal Sonne!“ und „Oh nein, schon wieder ein Gruppenfoto!“
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